Gabriele Schäfer | Bochum, Germany

Sehr geehrter Monsignore Sorondo,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Flüchtlinge sind unsere Brüder und Schwestern“ – So lautet die Überschrift, unter der wir uns als europäische Bürgermeisterinnen und Bürgermeister hier in Rom getroffen haben, um uns gegenseitig auszutauschen und vor allem um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen dafür, dass wir mit all unserer Kraft bereit sind, uns für die Aufnahme und Integration derjenigen einzusetzen, die aus mannigfaltigen Gründen zu uns kommen. Ohne dem Oberhaupt des Vatikans, Seiner Heiligkeit Papst Franziskus, einen seiner Titel streitig machen zu wollen, sehe ich dabei uns alle in der Funktion eines Pontifex, eines Brückenbauers, der hilft Gräben zu überwinden.

Verfolgung, Krieg und Armut haben weltweit dazu geführt, dass über 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Alleine in Deutschland wurden nach der UN-Statistik 2015 rund 442.000 Anträge auf Asyl gestellt, mehr als in jedem anderen Land der Welt. 5.500 von ihnen sind zu uns nach Bochum gekommen. Sie und gut 7.000 weitere Menschen ausländischer Herkunft, die aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls zu uns gekommen sind, stellen uns vor vielerlei Herausforderungen. Sie alle haben unterschiedliche Voraussetzungen und vielfältige Erwartungen. Sie alle wollen in unserer Gemeinschaft einen neuen Lebensmittelpunkt finden und beeinflussen bzw. verändern unser Leben, unser Zusammenleben nachhaltig.

Den damit verbundenen Herausforderungen müssen wir – Zuwanderer und Alt-Eingesessene - uns gemeinsam stellen. Es sind Herausforderungen, die Chancen bieten. Es sind aber ebenso Herausforderungen, die nicht erst bei der Integration der zugewanderten Menschen beginnen, sondern bereits bei ihrer Ankunft. Ich möchte daher allen danken, die sich ehren- oder hauptamtlich mit diesen neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern befassen und ihnen helfen, in ihrer neuen, unbekannten Umgebung zurechtzufinden.

Lassen Sie mich Ihnen in diesem Zusammenhang eine Einrichtung vorstellen, die in Bochum seit einigen Jahren im Rahmen der städtischen Daseinsvorsorge tätig ist: das Kommunale Integrationsbüro. Dieses ist eine Einrichtung, die es in dieser Form ausschließlich in unserem Bundesland Nordrhein-Westfalen gibt. Entstanden ist sie auf Initiative unseres Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales im Jahr 2013. Bochum hat sich aufgrund dieses Impulses ein Integrationskonzept gegeben, in dessen Mittelpunkt seinerzeit vor allem die Menschen standen, die in den vergangenen Jahrzehnten im Rahmen der Erwerbsmigration hauptsächlich aus Südeuropa, Vorderasien und Ostasien zu uns gekommen sind.

Im Rahmen dieses Integrationskonzepts haben Politik und Zivilgesellschaft zunächst Themenblöcke erarbeitet, die für Bochum besonders wichtig waren. Es sind dabei zehn Handlungsfelder herausgekommen, die alle Bereiche des täglichen Lebens betreffen. Stellvertretend nenne ich die Felder „Bildung“ und „Arbeit“, die ein Schwerpunktthema sind. Andere Bereiche, die ich beispielhaft nenne, sind die Themen „Älter werden“, „Sport“, „Zusammenleben in der Stadtgesellschaft“, „Partizipation“, „Gesundheit“ oder „Wohnen“. Zu jedem Handlungsfeld wurden Ziele formuliert, an deren Erreichung wir seitdem arbeiten.

Eine weitere Zielvorgabe des Landes Nordrhein-Westfalen besteht darin, das Thema Integration als Querschnittsthema in die Verwaltung zu transportieren und damit die Interkulturelle Öffnung auch in diesem Bereich auf den Weg zu bringen. So verfolgen wir engagiert das Ziel, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Stadtverwaltung zu gewinnen, die einen Migrationshintergrund haben. Wir erhoffen uns, dass deren interkulturelle Kompetenz dazu beitragen wird, Zuwanderinnen und Zuwanderer besser zu verstehen und diesen gezieltere Hilfen bei der Integration anbieten zu können.

Stand die Integration von Menschen anfangs im Vordergrund, die hauptsächlich im Rahmen der Erwerbsmigration bzw. im Rahmen der dadurch begründeten Familienzusammenführung zu uns gekommen sind, rückten infolge des Zustroms von Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Krisengebieten diese Menschen immer stärker in den Fokus unseres Handelns. Nachdem sich seinerzeit die weltpolitische Lage dramatisch verschärft hatte, wurden wir vor schier unlösbare Herausforderungen gestellt.

Wie ich bereits eingangs erwähnte befinden sich aktuell 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Das entspricht in etwa der gesamten Bevölkerung Frankreichs und vermittelt vielleicht einen Eindruck davon, welche Dimension, diese Fluchtbewegungen angenommen haben. Die Menschen fliehen aus den unterschiedlichsten Gründen: Vielfach sind es Bürgerkriege und Terrorregimes, die die Menschen dazu veranlassen, ihre Heimat zu verlassen. Letztendlich lassen sie alles zurück, um das nackte Leben zu retten und begeben sich auf abenteuerlichen, teilweise auf lebensgefährlichen Routen auf den Weg nach Europa, weil sie sich hier Ruhe, Frieden und ein sorgenfreies Leben erhoffen.

Viele schaffen es leider nicht. Und ich bin mir sicher, dass uns alle Fassungslosigkeit befällt, wenn wir wieder Meldungen über ein gekentertes Boot im Mittelmeer lesen oder Bilder von gestrandeten Leichen ansehen müssen. Jede und jeder Tote ist einer zu viel! Und jedes tote Kind ist ein Aufschrei, der uns zwingt zu handeln! Das ist vielleicht nicht immer populär. Aber für Menschen, die sich zur Demokratie, die sich zum Humanismus oder die sich zum Christentum bekennen, alternativlos! Das ist die Wahrheit, auch wenn sie so mancher nicht hören will, sondern vielmehr aus egoistischen Gründen, diese Menschen – unsere Brüder und Schwestern wie es im Titel unseres Zusammentreffens heißt – zu instrumentalisieren.

Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass ein Vater, eine Mutter aus Bequemlichkeit das Risiko eingeht, in maroden Schlauchbooten das Mittelmeer zu überqueren, und das eigene und das Leben ihrer Kinder gefährdet. Aus Spaß oder um in unserem „gemeinsamen Haus Europa“ – wie es Michail Gorbatschow einmal genannt hat - Sozialleistungen zu erschleichen, würde sicherlich niemand dieses Risiko eingehen, auch wenn gewisse politische Gruppierungen dies behaupten.

Meine Damen und Herren,
ich habe Ihnen einen kurzen Überblick darüber gegeben, wie sich die Situation von Flüchtlingen in Bochum darstellt. Sicherlich gibt es noch eine ganze Reihe von Fragen, die den einen oder die andere bewegt. Gerne stehe ich Ihnen für einen weiteren Austausch zur Verfügung. Ich freue mich auf die Gespräche mit Ihnen und danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.